„Ohne Insektenschutz gibt es keinen Apfelsaft.“

Wolfra-Geschäftsführer Norbert Sima hat 2019 ein Bündnis zum Schutz der traditionellen Streuobstwiesen gemeinsam mit dem Kurort Bad Birnbach und dem Landkreis Rottal Inn gegründet. Wieso die Bewahrung dieser natürlichen Lebensräume für sein Unternehmen so wichtig ist, erklärt er im Interview.

Herr Sima, 2019 hat der Weltbiodiversitätsrat Alarm geschlagen, wonach wir unsere Lebensgrundlagen zerstören, wenn das Artensterben ungehindert weitergeht. Können Sie das nachvollziehen?

Ich habe von dem Bericht auch mit Schrecken gelesen. Für unser Geschäft ist im Kleinen der Zusammenhang vollkommen klar: wenn es keine bestäubenden Insekten mehr gibt, dann wachsen keine Früchte und in der Folge gibt es keinen Apfelsaft. Daher ist Insektenschutz und damit verbunden der Pflanzenschutz für uns als Saftkelterei von quasi lebenswichtigem Interesse, und deshalb engagieren wir uns auch dafür in unserem neuen Bündnis für die Streuobstwiesen zusammen mit dem Kurort Bad Birnbach in Niederbayern und dem Landkreis Rottal-Inn.

Wieso ausgerechnet Bad Birnbach im Rottal?

Weil wir einen Großteil der 2.200 Tonnen Äpfel, die wir jedes Jahr zu Saft und Most verarbeiten, von rund 1.500 Obstbauern der Genossenschaft Rottaler Obstverwertung erhalten. Ein großer Teil davon stammt von kleinen Landwirtschaften mit Streuobstwiesen. Die prägen im Rottal und in vielen Regionen Bayerns traditionell die Landschaft, und sie sind – anders als etwa Apfel-Plantagen – wertvolle Biotope für Pflanzen und Tiere, die wir schützen und erhalten wollen.

Inwiefern ist eine Obstwiese ein Biotop?

Streuobstwiesen kann man nicht intensiv bewirtschaften. Deshalb ziehen sie mit ihrer Ruhe und ihrem Reichtum an unterschiedlichen Lebensräumen viele Tier- und Pflanzenarten an. Es gibt Baumhöhlen und Erdlöcher, hohe Zweige und abgestorbenes Holz. Das Gras kann das ganze Jahr über wachsen, und es gibt viele Wildkräuter und Wiesenblüher. Tiere und Pflanzen, die aus ihren Lebensbereichen vertrieben werden, finden auf den Obstwiesen Zuflucht. Oft sind es Arten, denen die intensive und chemisch unterstützte Landwirtschaft ihren Lebensraum streitig macht. Am Ende ist es eine Win-Win-Situation, denn die Obstbauern und wir als ihr Abnehmer profitieren von dieser Vielfalt, wenn es genug bestäubende Insekten für die Obstbäume gibt.

Was genau haben Sie vor mit ihrem Bündnis?

Wir wollen dazu beitragen, dass diese wertvollen Biotope erhalten bleiben, und dafür das Bewusstsein in der Öffentlichkeit schaffen. Kern unseres Bündnisses ist eine rund 12.500 Quadratmeter große Streuobstwiese mitten im Bad Birnbacher Kurgebiet mit etwa hundert Apfel-, Birnen-, und Zwetschgenbäumen. Die Wiese ist im Zuge der Entwicklung von Bad Birnbach in den letzten Jahrzehnten bewusst als Grünzug frei geblieben von Bebauung. Mit Unterstützung unseres Pomologen Dr. Sebastian Grünwald wird diese Wiese nun ertüchtigt und durch Neupflanzungen ergänzt. Für Gäste in Bad Birnbach werden künftig alle zwei Wochen Führungen auf der Streuobstwiese stattfinden, um auf ihren ökologischen Wert aufmerksam zu machen. Außerdem ist vor kurzem die Seite www.streuobstwiesenwunder.de online gegangen. Auf der gibt es einen Blog mit regelmäßigen Neuigkeiten aus dem Ökosystem der Bad Birnbacher Streuobstwiese. Dadurch soll dieser Naturraum nicht nur für die Bewohner in der Region und die Gäste des Kurbads erlebbar werden, sondern über Internet und soziale Medien für alle Interessierten.

Gute Werbung für Ihr Unternehmen und Ihre Säfte ist das auch.

Ja, aber wir springen hier nicht wie andere auf ein Modethema auf. Für uns als Natursaftkelterei sind biologischer Obstbau und Bio-Diversität unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass wir die Qualität unserer Säfte auch weiterhin – hier kann man bewusst nachhaltig sagen – sicherstellen.

Schmeckt Apfelsaft von Streuobstwiesen anders als Plantagensaft?

Ja sicher! Alte Bäume nehmen viel mehr Nährstoffe aus Boden und Luft auf als junge Plantagenbäume. Dadurch bilden die Früchte viel mehr Geschmack aus. Hinzu kommt, dass richtig guter Apfelsaft immer eine Mischung verschiedener Sorten ist. Allein in Bayern gibt es mehrere hundert verschiedene Apfelsorten mit einer unglaublichen Fülle an Aromen. Diese Vielfalt zu bewahren, das finde ich sehr faszinierend.

Das sieht man aber nicht überall so, oder?

Richtig. Wenn sie sich die Landschaft ansehen am Bodensee oder in Südtirol, wo viele der Äpfel in unseren Supermärkten herkommen, sehen Sie praktisch nur noch Plantagen mit schlanken, niedrigstämmigen Bäumen. Die meisten alten Sorten sind für diese intensive Anbauweise nicht geeignet und wurden daher durch sehr wenige moderne Sorten verdrängt. Alte Hochstämme, wie sie noch im Rottal stehen, liefern geschmacklich viel interessantere und hochwertige Äpfel, der Saft daraus schmeckt viel besser. Ein guter Apfelsaft ist eine sehr feine Mischung aus Süße und Säure und enthält über 150 verschiedenen Aromen.

Sie klingen fast wie ein Winzer.

Obst- und Weinbau haben auch einiges gemeinsam. Genauso wie die Winzer sind unsere Obstbauern das ganze Jahr über mit ihren Bäumen beschäftigt, damit am Ende eine möglichst gute Fruchtqualität herauskommt. Der Unterschied zum Wein ist nur, dass wir den Apfelsaft vor der Vergärung abfüllen. Und dass der Aufwand, den eine Streuobstwiese erfordert, in der Öffentlichkeit noch nicht so wahrgenommen wird wie beim Wein. Aber hier wollen wir ja mit unserem Bündnis Aufklärung leisten.

Wenn Apfelsaft ein solches Genießerprodukt, ist er dann nicht viel zu schade für – sagen wir – Schorle?

Nein warum? Purer Apfelsaft ist ein sehr intensives Geschmackserlebnis, Sie können den auch nicht literweise trinken. Für den Durst eignet sich Schorle ganz hervorragend. Etwas verdünnt, und trotzdem mit dem wunderbaren Apfelsaft-Geschmack, warum nicht?

Zu welchen Gelegenheiten trinken Sie selbst Apfelsaft?

Norbert Sima: Sehr gern zum guten Essen, da passen Fruchtsäfte, nicht nur der Apfel, ganz hervorragend, es muss nicht immer Wein sein. Oder, wenn ich abends mit meiner Frau zusammensitze, wenn die Kinder im Bett sind, dann trinken wir sehr gern ein Glas richtig guten Saft und schmecken ihn mit allen Sinnen. Das ist dann ein echter Muße-Moment, da kann ich fast so gut abschalten wie beim Singen.

Sie singen?

Ja, seit vielen Jahren im Münchner Lassus-Chor, ein Konzertchor, der sich vor allem der Venezianischen Mehrchörigkeit verschrieben hat. Im Juni werden wir im Dom von Verona singen.

Da nehmen Sie sicher einen Träger Apfelsaft mit auf die Reise?

Da können Sie sicher sein, nicht nur einen.

Interview: Gerd Henghuber